Scaldo

PROLOG

 

Drei Dunkelhäutige, die eine brotlose Kunst erlernt haben und nun auf den Straßen der sündigen Millionenstadt für ein Almosen auf ihrem Banjo zupfen, auf die Bongos hauen und das Tamburin schlagen. Sie singen mit Freude in der Stimme.

Wir haben ihn gesehen. Wir kennen ihn. Du wirst ihn auch noch sehen. Ihn auch noch kennen. Scaldo. Das ist der Mann, der dich tötet. Scaldo. Der Mann, der dich tötet.

 

 

LUIGI

 

Die fülligen Augenbrauen springen ruckartig in die Höhe. Die gewölbte Stirn bildet über die gesamte Fläche tiefe Rillen. Die babydünnen Lippen des Mannes öffnen sich zu einem großen O, er will offenbar etwas sagen. Er strengt sich an, die Bemühung ist ihm anzuerkennen. Es kommt jedoch nur ein erstickter Laut zustande. Die Schweinsäuglein hinter den breiten Gläsern weiten sich und erreichen doch nur die Größe von Stecknadelköpfen. Er krächzt. Oder versucht er zu erbrechen? Die ungesund aussehende Zunge hängt gerollt aus dem Mund. Die Brille rutscht das Nasenbein herunter.

Interessant, denkt Scaldo. Die Augen sind doch nicht so winzig. Es war die Brille. Sie hat mich getäuscht, diese dicke fette schwarze Hornbrille. Muss teuer gewesen sein, das hinterhältige Luder, das mich so täuschen konnte. Überhaupt ist alles kostspielig an diesem Herrn. Sein goldfarbener Seidenanzug sieht dämlich aus und glitzert ebenso dämlich wie die Oberfläche eines Sees an sonnengeschwängerten Tagen. Die löffelgroßen rubinbesetzten Ringe an seinem dritten und vierten Finger der linken und am kleinen Finger der rechten Hand verkünden die Kunde vom Platzhirsch und davon, wer den längsten baumeln lässt. Die Einrichtung ist in lächerlicherweise kostbar. Schränke, Tische, Stühle — selbst seine Rotzschüssel ist aus Schlangenholz. Die Vasen wirken nicht billig. Würde mich nicht wundern, wenn es Mings wären. Frage: Welcher Mann richtet sein Büro wie einen Wohnraum ein? Antwort: Der Mann, der nichts zu fürchten hat. Tja, sieht aus, als konnte ich ihn davon überzeugen, seine ungesunde Einstellung noch einmal zu überdenken. Er riecht gut. Ich kenne diesen Duft, hatte ihn schon mal in der Nase. Adlerholz. Die Dummheit der haarlosen Affen kennt keine Grenzen. Töten unsterbliche Bäume für einen Duft, der vergeht.

Der Grüblerische hat keine Lust mehr, einen weiteren Gedanken an diesen Kerl zu vergeuden und zieht das Messer aus dem Kehlkopf des Brillenträgers.

Scaldo streckt die Hand nach der Box auf dem Tisch aus und schnappt sich eine Handvoll Papiertücher. Während er sich daranmacht, das lange Jagdmesser, das um den Titel des Kurzschwertes wetteifert, zu reinigen, stapft der Mann im goldenen Anzug, den alle — Freund wie Feind — nur Luigi nennen, obwohl er nicht die geringsten italienischen Bezüge aufweist, wenige Schritte in den Raum. Ganz wie ein Baby, das gerade das Laufen lernt. Luigi starrt entgeistert in die Runde, in die Augen seiner fünf Männer. Das Blut schießt schubweise aus der Kehle.

Scaldo ist sich bewusst, dass er den Jungs mit seinem breiten Rücken eine attraktive Zielscheibe bietet. Gleichermaßen ist ihm klar, dass sie es nicht zuwege bringen würden, die Scheibe anzuvisieren, geschweige denn sie mit Bleigeschossen zu mästen.

Schließlich bricht der falsche Italiener zusammen und stürzt zu Boden zu den Füßen von Henry Morte, seiner rechten Hand. 

Die Männer in Anzug und Mantel hängen im Zwiespalt. Sie warten auf ein Zeichen, um Scaldo niederzumähen. Doch Morte zögert. Sein dichter Schnäuzer kann die gepressten dünnen Lippen nicht verbergen. Er spürt Luigis kahlen Schädel an seinem Bein, wie er drückt und ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen versucht.

Scaldo fährt mit den Papiertüchern qualvoll langsam über die besudelte Klinge und genießt jeden Moment. Der Hauch einer Bewegung hinter ihm entgeht ihm nicht, er dreht sich um. Er vollführt einen letzten, ausladenden Wisch und die Klinge blitzt wie am ersten Tag. Erst jetzt nimmt er sich die Zeit, ihn geradewegs anzublicken: den dürren Blonden. Dieser Wichtigtuer erstarrt überrascht in der Bewegung, seine Waffe unter dem Mantel hervorzukramen. Schweißperlen bilden sich auf seiner hohen Stirn und laufen in drei Bahnen hinab in den offenen Mund. Der Junge muss unwillkürlich husten.

Jetzt haftet Scaldos kalter Blick an einem Typen, den man in diesem Geschäft einen alten Hasen nennt. Für jemanden mit so viel Erfahrung sieht er sich ungeschickt auffällig um. Es sind wohl die Nerven. Seine mit blaugrünen Adern übersäte Hand gleitet langsam zum Gürtel.

Sollten deine verschwitzten Griffel hinter der Jacke verschwinden, wird dir mein Schwert einen innigen Schmatz auf die Stirn geben.

Zittrig bleibt die Hand vor dem Gürtel stehen. Er sieht sich zu seinen Kameraden um, will die Lage abschätzen. Wer springt mit, wenn er springt? Als der Mann keinen Blickkontakt zu seinen Leuten, die ihrerseits von unangenehmen Visionen heimgesucht werden, herstellen kann, gibt er den selbstmörderischen Gedanken auf. Irgendwie scheint er jetzt erleichtert zu sein.

Ich rieche eure Angst. Euer Pech. Ich bin ein Angstfresser, und mein Hunger schwindet nie.

Scaldo geht mit dem Messer auf Morte zu. Er bleibt vor ihm stehen und durchdringt ihn mit seinen weißlichen Augen. Selbst ein Hüne, wird Scaldo noch um einen halben Kopf von Morte übertroffen. Dieser bemüht sich, standhaft zu bleiben, nicht zurückzuweichen, sich keine Blöße vor seinen Männern zu geben. Jetzt, da Luigi tot ist, ist Morte der uneingeschränkte Herrscher über sein zurückgelassenes Imperium. Er presst die Lippen hart aufeinander, um ein unkontrolliertes Zittern zu verhindern. In seinen Augen steht groß wie eine Schlagzeile die Frage, was diese Ausgeburt der Hölle von ihm will. Wie aus dem Jenseits hört er seine raue Stimme. 

»Nicht persönlich nehmen. War nur ein Auftrag.«

Scaldo erlaubt sich ein zweites Mal, ihnen den Rücken zuzukehren und sich auf diese Weise zum Ausgang zu bewegen. Er weiß vielleicht nicht viel über die Welt und was sie zusammenhält. Doch ihrer Furcht und Achtung kann er sich allemal sicher sein. An der Türschwelle bleibt er stehen.

Die Unruhe in den Herzen der fünf Überlebenden schießt in die Wolken wie die gewaltige Bohnenranke aus dem Märchen.

Der Mordbube seufzt innerlich. Hier wird er nicht finden, was er sucht. Er verlässt den Raum und hinterlässt Stille.

 

 

JAX JESSUP

 

DROGENBOSS TOT Der international gesuchte Chef der Drogenmafia von San Detro Calcavas ist tot. Lucius Arlens, genannt Luigi, wurde in der Nacht zum Sonntag gegen 1.00 Uhr in einer Seitenstraße tot aufgefunden. An seinem Hals fanden sich Spuren von Einstichen, nach ersten Erkenntnissen wahrscheinlich von einem Messer stammend. Die Polizei vermutet einen internen Machtkampf. Weiter auf Seite 3.

 

Jax Jessup knallt die Zeitung auf den Tisch. »Gute Arbeit! Ich wusste, auf dich ist Verlass!«

Der untersetzte Mann um die fünfzig lehnt sich im preisintensiven Chefsessel zurück. Man hat den Eindruck, einen Wirtschaftsmanager vor sich zu haben. Hinter ihm bietet sich ein Ausblick auf die gesamte Stadt. Hier im elften Stockwerk eines Bürokomplexes muss man sich dem Himmel näher fühlen als der Erde.

Er riecht an der verwelkten Blume an seinem Jackett.

»Ich hatte viel von dir und deiner Erfolgsbilanz gehört. Ich wusste, nur du kommst für diese delikate Aufgabe in Betracht. Einige meiner Leute, um nicht zu sagen alle, hatten mir davon abgeraten, dich zu verpflichten. Aber ich dachte mir, der Mann ist nicht dumm. Er wird zugänglich sein für die Annehmlichkeiten dieser Welt, die ich ihm mit Freuden bieten möchte.«

Er reicht hinunter und holt einen schwarzen Aktenkoffer hervor. Diesen legt er sich auf die Brust und klopft rhythmisch mit den Fingern darauf. Die Stille wird ihm unangenehm. Er hatte irgendeine Form von Rückmeldung erwartet. Und sei es nur ein Räuspern. Aber da kommt nichts außer seelenlosem Schweigen.

Also hüstelt er selbst, um die Lautlosigkeit zu durchbrechen.

»Und hier die versprochene Belohnung, mein Freund.«

Er legt den Koffer auf den Tisch aus Wüsteneisenholz und schiebt ihn rüber ans andere Ende. Jessup wartet einen Moment. Ein leichter Anflug von Unsicherheit klettert seinen Rücken hoch.

»Nicht so schüchtern. Zähl die Mäuse.«

Die Zweifel wachsen. Er bemüht sich, den Blick zu halten, doch muss er sich zu seinem eigenen Bedauern eingestehen, dass seine Augen immer wieder den Boden aufsuchen müssen, um neuen Mut zu sammeln für den nächsten Blick in Scaldos einfrierende weiße Augen.

Nun ist er da, der Moment. Jessup konnte den Gedanken an ihn bis jetzt mit mäßigem Erfolg verdrängen. Nun ist er da und bricht mit aller Macht bis zu ihm durch. Womöglich hatten seine Männer recht und er hatte aufs falsche Pferd gesetzt. Andererseits ist sein größter Konkurrent ausgeschaltet. Also war seine Wahl doch richtig.

Worin er sich eventuell verschätzt haben könnte, ist der Kaufpreis.

*

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